Erzählperspektive: Bedeutung, Tipps & Beispiele
Die Erzählperspektive ist beim Schreiben von Geschichten ein wertvolles Instrument. Sie beeinflusst maßgeblich, wie deine Leser*innen in deine Geschichte eintauchen. In diesem Artikel erklären wir dir, welche Erzählperspektiven es gibt, wie du sie geschickt einsetzt und wie du die richtige für dein Buch findest.
Inhaltsverzeichnis
Was ist die Erzählperspektive?
Die Erzählperspektive definiert, aus welcher Perspektive die Handlung einer Geschichte wiedergegeben wird. Dabei geht es nicht darum, wer die Geschichte geschrieben hat. Der Autor oder die Autorin bist ja du selbst. Es geht darum, aus wessen Sicht heraus, mit wessen Sprache, Einblicken und Gedanken sie geschrieben wird. Im folgenden Abschnitt erklären wir dir die wichtigsten Erzählperspektiven. Dann wirst du ein gutes Gefühl dafür bekommen, wie Erzählperspektiven funktionieren.
Welche Erzählperspektiven gibt es?
Auktorialer Erzähler
Der auktoriale Erzähler ist allwissend. Er kann alle Vorfälle und Handlungen im Roman beschreiben, kennt die Motivationen, Gedanken und Gefühle aller Charaktere und kann über das Geschehen hinausblicken. Du als Autor*in wärst ein auktorialer Erzähler, denn wenn es um deine Geschichte geht, weißt du ja alles und könntest den Leser*innen dementsprechend auch alles verraten.
Beispiel: „Anna betrat den Raum und sah sich um. Die Wände waren mit alten Fotos bedeckt, die Geschichten aus längst vergangenen Zeiten erzählten. In der Mitte des Raumes stand ein großer Tisch, auf dem eine brennende Kerze flackerte und ein sanftes Licht spendete. Sie spürte eine seltsame Unruhe, konnte aber nicht genau sagen, warum. Was Anna nicht wusste, war, dass dieser Raum einst das Arbeitszimmer ihres Urgroßvaters war, und die Kerze ein Erbstück von unschätzbarem Wert.“
Vorteile
- Umfassender Überblick über alle Handlungen und Charaktere
- Kann alle Hintergrundinformationen geben, die benötigt werden
- Besonders bei epischen Fantasyromanen hilfreich, um die Welt zu erklären
- Kann Ereignisse kommentieren
Nachteile
- Baut Distanz zu den Leser*innen auf
- Involviert die Leser*innen weniger emotional
- Es kann dazu führen, dass die Handlung vorhersehbar wirkt
- Große Gefahr, dass man zu viel erzählt und die Leser*innen überfrachtet
Personaler Erzähler
Beim personalen Erzähler wird die Handlung des Romans aus der Perspektive einer bestimmten Figur wiedergegeben, aber nicht in der Ich-Form, sondern in der dritten Form. Der personale Erzähler ist nicht allwissend. Sein Wissen begrenzt sich auf das Wissen der entsprechenden Figur. Außerdem wird der Roman aus Sicht dieser Figur erzählt, die Sichtweise ist also subjektiv. Ein erfolgreicher Geschäftsmann, der in einem reichen Elternhaus auf dem Land aufgewachsen ist, erlebt die Welt anders als ein Junge, der im sozialen Brennpunkt der Großstadt aufwächst. Dementsprechend geprägt ist auch seine Erzählperspektive.
Beispiel: „Anna betrat den Raum und sah sich um. Die Wände waren mit alten Fotos bedeckt. In der Mitte des Raumes stand ein großer Tisch, auf dem eine brennende Kerze flackerte. Sie spürte eine seltsame Unruhe, konnte aber nicht genau sagen, warum. Die Stimmung des Raumes machte sie nervös, obwohl sie den Grund nicht verstand.“
Vorteile
- Tiefes Eintauchen in die Gedanken und Gefühle der Figuren
- Erzeugt eine emotionale Bindung zwischen Leser*innen und Figuren
- Die subjektiven Sichtweisen der Figuren machen die Geschichte interessant und einzigartig
- Begrenzte Enthüllung von Informationen, was zur Spannung beitragen kann
Nachteile
- Begrenzter Überblick über die gesamte Handlung
- Es ist schwieriger, Nebencharaktere und ihre Motivationen zu erklären
- Auch die Welt und Nebenschauplätze zu beschreiben, ist schwierig
- Mögliche Verwirrung, wenn die Leser*innen nicht alle Hintergründe kennen
Ich-Erzähler
Der Ich-Erzähler ist sehr ähnlich zum personalen Erzähler, nur dass der Roman in der ersten Person geschrieben ist. Dadurch ist die Perspektive noch näher an der Figur dran und kann daher noch mehr Einblicke in die Gefühlswelt der Figur geben.
Beispiel: „Ich betrat den Raum und sah mich um. Die Wände waren mit alten Fotos bedeckt. In der Mitte des Raumes stand ein großer Tisch, auf dem eine brennende Kerze flackerte. Ich spürte eine seltsame Unruhe, konnte aber nicht genau sagen, warum. Irgendetwas an diesem Raum machte mich nervös.“
Vorteile
- Ermöglicht eine intime und persönliche Erfahrung der Handlung, noch etwas tiefer als beim personalen Erzähler
- Dementsprechend stärker kann auch die emotionale Bindung zu den Figuren sein
- Verleiht der Geschichte eine einzigartige Stimme
- Begrenzte Enthüllung von Informationen, was zur Spannung beitragen kann
- Bietet noch mehr Möglichkeiten, um sprachliche Eigenheiten der Figuren zu zeigen
Nachteile
- Oft ist der Blickwinkel etwas zu eingeschränkt
- Verwechslungsgefahr, wenn es mehrere Ich-Erzähler gibt
- Es gibt Leser*innen, die diese Erzählperspektive nicht mögen (das ist eine geschmackliche Frage)
- Es ist schwieriger, Nebencharaktere und ihre Motivationen zu erklären
- Auch die Welt und Nebenschauplätze zu beschreiben, ist schwierig
- Mögliche Verwirrung, wenn die Leser*innen nicht alle Hintergründe kennen
Neutraler Erzähler
Der neutrale Erzähler nimmt nicht die Sichtweise einer Figur ein, sondern erzählt die Geschichte “von oben”, ähnlich wie der auktoriale Erzähler. Er ist aber nicht allwissend. Oder genauer gesagt: Er bleibt objektiv und schaut nicht in die Gedanken- und Emotionswelt der Figuren hinein. Er beobachtet einfach nur und erzählt.
Beispiel: „Anna betrat den Raum und sah sich um. Die Wände waren mit alten Fotos bedeckt. In der Mitte des Raumes stand ein großer Tisch, auf dem eine brennende Kerze flackerte. Sie spürte eine seltsame Unruhe.“
Vorteile
- Objektive Darstellung der Handlung, keine Voreingenommenheit gegenüber bestimmten Charakteren
- In bestimmten Situationen nützlich, wie z.B. in Einleitungen oder in Szenen, in denen keine personale Sicht möglich ist
Nachteile
- Kann eine persönliche Bindung zum Geschehen stark erschweren
- Kann die Identifikation mit Charakteren stark erschweren
- Möglicher Verlust der Emotionalität
- Kann nicht auf die jeweiligen Sichtweisen der Figuren zurückgreifen
Elemente der Erzählperspektive
Emotionale Bindung
Ein auktorialer Erzähler kann die Leser*innen mit einem umfassenden Blick auf die Handlung begeistern und ihnen das Gefühl geben, als wären sie Teil des Geschehens. Er kann sie außerdem zu Expert*innen deiner Welt und deiner Geschichte machen, was nochmal seinen ganz eigenen Reiz hat. Der personale Erzähler und der Ich-Erzähler dagegen können die Leser*innen emotional tiefer berühren. Dadurch können diese sich viel besser mit den Figuren in der Geschichte identifizieren, was für den Lesespaß von entscheidender Bedeutung ist.
Stimmung und Atmosphäre
Die Erzählperspektive hat einen großen Einfluss auf die Stimmung und Atmosphäre deiner Geschichte. Ein personaler Erzähler kann eine intensive und unmittelbare Erfahrung schaffen, während ein allwissender Erzähler eine epische und weitläufige Atmosphäre erzeugen kann. Überlege dir, welches Gefühl du bei deinen Lesern hervorrufen möchtest und wähle die passende Perspektive, um dies zu erreichen.
Charakterentwicklung
Die Erzählperspektive beeinflusst auch die Art und Weise, wie deine Charaktere präsentiert werden. Ein Ich-Erzähler ermöglicht es den Leser*innen, die innere Welt der Hauptfigur aus erster Hand zu erleben und ihre Entwicklung hautnah mitzuerleben. Ein allwissender Erzähler kann hingegen verschiedene Charaktere gleichzeitig beleuchten und ihre Motivationen und Konflikte in einen breiteren Kontext setzen.
Welche Erzählperspektive soll ich wählen?
Als groben Richtwert kannst du dir merken: Romane sind meistens in der personalen Erzählperspektive geschrieben, manchmal auch in der Ich-Perspektive.
Wenn du davon abweichst, könnte das viele Leser*innen schon im Vorhinein abschrecken. Möglich ist aber auch, dass du zum Beispiel für einen Fantasyroman eine auktoriale Einleitung schreibst und für die eigentliche Geschichte die Perspektive wechselst. Aber Achtung: Den Leser*innen muss klar sein, dass ein Perspektivwechsel stattfindet.
Letztendlich musst du für dich selbst herausfinden, welche Erzählperspektive zu deinem Roman passt, aber auch zu dir als Autor*in. Unser Tipp: Sei mutig und experimentiere! Probiere verschiedene Erzählperspektiven aus, um alle kennenzulernen und ihre jeweiligen Vor- und Nachteile zu verstehen.
Beim Testen der Erzählperspektive für deinen Roman sind Testleser*innen unentbehrlich. Diese können dir instinktiv sagen, wann eine Perspektive nicht konsistent oder gar unpassend ist. Selbst wenn sie nur “irgendetwas ist komisch hier” oder “hier bin ich nicht mitgekommen” sagen, kann das schon ein wertvolles Indiz dafür sein, dass du etwas verbessern solltest.
Umsetzung der Erzählperspektiven
Um die Erzählperspektive in deinem Roman richtig umzusetzen, geben wir dir einige Tipps an die Hand. Diese sorgen nicht nur dafür, dass du die jeweiligen Stärken deiner Erzählperspektive ausnutzt – sie schaffen auch Klarheit für deine Leser*innen.
- Vermeide Perspektivwechsel! Diese stören den Lesefluss und verwirren. Bis auf Ausnahmen solltest du bei deiner gewählten Erzählperspektive über das Buch hinweg bleiben. Wenn du dennoch verschiedene Perspektiven nutzen möchtest, achte darauf, dass die Wechsel gut begründet sind und zum Verständnis der Handlung beitragen.
- Pass beim allwissenden und neutralen Erzähler genau auf, welche Informationen du preisgibst. Wenn du bestimmte Dinge erklärst, bevor die Figuren sie mitbekommen, kann das die Spannung wegnehmen.
Spezielle Tipps zu Personaler Erzähler und Ich-Erzähler
- Vermeide „Kopf-Hüpferei“.
Dabei springt die Sichtweise, aus der das Kapitel geschrieben ist (also nicht die Erzählperspektive an sich!) unkontrolliert von einem Charakter zum nächsten, was Verwirrung bei den Leser*innen stiften kann. Achte darauf, dass du die Sichtweise nur dann wechselst, wenn es für die Handlung sinnvoll und notwendig ist. Sichtwechsel pro Kapitel sind üblich, innerhalb eines Kapitels solltest du vorsichtig damit umgehen. - Schreibe nur das, was die Figur auch wirklich denkt bzw. weiß.
Manchmal wird in einem Roman etwas beschrieben, was die Figur in dem Moment gar nicht wissen kann. Der Roman wechselt also kurz zum auktorialen Erzähler, um etwas zu schildern, was in der anderen Perspektive nicht möglich gewesen wäre. Eventuell hilft das beim Erzählen der Geschichte, aber es macht die Geschichte inkonsistent und verwirrend. Das Spannende dieser Erzählperspektiven ist ja gerade, dass die Figuren nicht alles wissen. - Nutze die Erzählperspektive voll aus!
Sie macht deine Geschichte besonders. Jede Figur hat ihre ganz eigene, subjektive Sichtweise auf die Welt. Eine Figur, die noch nie an ihrem Leben am Meer war, wird den Besuch am Strand ganz anders wahrnehmen als diejenigen, die in der Nähe vom Strand leben. Ein Mensch, der sein ganzes Leben lang reich und verwöhnt war, wird seinen Sturz in die Armut ganz anders erleben als Menschen, die darin aufgewachsen sind. Spare also nicht mit den subjektiven Gefühlen und Gedanken deiner Charaktere. Versetz dich in sie hinein und finde heraus, wie sie ticken – dann kannst du sie umso besser schreiben. - Verleih dem Text seine eigene Stimme (gilt für den Ich-Erzähler).
Deine Figur ist ein kettenrauchender Seemann, der ständig in der Spelunke am Hafen herumhängt? Dann sollte er auch dementsprechend deine Geschichte erleben, mit seiner persönlichen Stimme, seinen Sprachgewohnheiten und typischen Ausdrücken. Der personale Erzähler kann dies auch, aber nicht im selben Umfang.
Erzählperspektive - Beispiele aus der Literatur
Mit den folgenden zwei Beispielen aus der Literatur wollen wir dir zeigen, wie die jeweiligen Autor*innen die gewählte Erzählperspektive in ihrem Roman geschickt eingesetzt haben.
Beispiel 1: „Die Bücherdiebin“ von Markus Zusak
In diesem preisgekrönten Roman wird die Geschichte aus der ungewöhnlichen Perspektive des Todes erzählt. Der auktoriale Erzähler, der gleichzeitig der Tod ist, gewährt den Leser*innen einen tiefen Einblick in das Leben einer jungen Bücherdiebin namens Liesel Meminger während des Zweiten Weltkriegs in Deutschland. Die unkonventionelle Erzählperspektive verleiht der Geschichte eine einzigartige Atmosphäre und eröffnet eine unerwartete emotionale Tiefe, die den Leser*innen einen neuen Blick auf die Schrecken des Krieges bietet.
Beispiel 2: „Der Fremde“ von Albert Camus
Dieser Klassiker wird aus der Ich-Perspektive von Meursault erzählt, einem französischen Algerier, der durch eine Serie unglücklicher Ereignisse in eine existenzielle Krise gerät. Durch die direkte Darstellung von Meursaults Gedanken und Emotionen wird eine starke Identifikation mit dem Protagonisten hergestellt. Die Ich-Erzählung ermöglicht es den Leser*innen, sich tief in die Innenwelt von Meursault hineinzuversetzen und über philosophische Fragen der Existenz und des Lebens nachzudenken.
Erzählperspektive - Fazit
Die Erzählperspektive ist ein wichtiges Werkzeug, das es Autor*innen ermöglicht, ihre Geschichten auf eine einzigartige Weise zu erzählen und eine emotionale Bindung zwischen den Leser*innen und deiner Geschichte (insbesondere den Figuren) aufzubauen.
Falls du dich nicht entscheiden kannst, welche Erzählperspektive du nutzen willst, probier dich einfach aus, dann wirst du schon die richtige Wahl treffen. Wichtig ist aber auch, dass du übst, deine gewählte Erzählperspektive geschickt einzusetzen und sie über die gesamte Geschichte hinweg konsistent zu nutzen. Dafür solltest du unbedingt mit Testleser*innen zusammenarbeiten und auch über ein Lektorat nachdenken.
Achte in Zukunft auch beim Lesen darauf, welche Erzählperspektive die Autor*innen gewählt haben und wie sie diese einsetzen. Dadurch kannst du wahnsinnig viel lernen.
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